Mein Statement zur Musikkritik

Es besteht kein Zweifel, ein Musiker freut sich über gute Kritik, und er wird zumindest nachdenklich bei negativer Kritik. Entscheidend ist dabei selbstverständlich auch WER der Verfasser einer Kritik ist. Warum gibt es Musikkritik? Genügt es nicht, wenn das Publikum begeistert, zufrieden, oder enttäuscht den Saal verlässt? Es gibt ein überzeugendes Argument, das für eine öffentliche Rezension nach einem öffentlichen Konzert spricht: Konzerte werden meist mit Steuergeldern mitfinanziert. Folglich hat der Steuerzahler ein Recht darauf, zu erfahren, was mit dem Steuergeld in etwa geschehen ist. Früher griff der Kritiker zum Reclam-Musikführer, heute greift er zu Wikipedia & Co. Blumige Worte umranken gerne ungeprüfte historische Fakten, biographische Klischees der Komponisten (etwa der komponierende Chopin im Tuberkulose-Delirium im ehemaligen Kloster auf Mallorca) werden heraufbeschworen. Meine Bitte an Menschen, welche Rezensionen schreiben, ohne wirklich mit der Musik zu leben: Seid keine Journalisten, wie diejenigen welche über Verfehrsunfälle oder Karnevalsveranstaltungen berichten. Setzt Euch mit der Kunst auseinander, so wie es das Publikum ebenfalls von den aufführenden Künstlern erwartet. Ihr sollt kritisch sein. Aber Euer von uns Musikern so geschätztes Lob soll ebenso der dargebotenen Musik würdig sein.

 

Schwäbische Zeitung |18.01.2016 | CHISTEL VOITH

Vom friedlichen See ins tobende Inferno

Leopold Strauss gibt pianistisches Heimspiel in der Mühle Oberteuringen

Acht Jahre ist es her, dass Leopold Strauss in der Mühle Oberteuringen ein Neujahrskonzert gegeben hat, damals mit der Sopranistin Bettina Wechselberger, denn ein ganzer Klavierabend war nach einer Unfallverletzung an der Hand noch zu schmerzhaft. Am Samstagabend ist der in Lugano lebende Pianist wieder zum Heimspiel in die Mühle gekommen und hat im vollen Saal reichen Applaus geerntet.

Heiter ist der Einstieg des gebürtigen Teuringers mit Haydns Klaviersonate As-Dur Hob XVI-46. Flink eilen seine Finger in unablässigem Wogen über die Tasten, gläsern klingt der Flügel. Ernst ist das barock-dreistimmige Adagio, ehe Leopold Strauss im Finale mit immer neuen sprühenden Kaskaden dahineilt.

Der Höhepunkt: ein Feuerwerk

Strömende musikalische Fülle kennzeichnen die vier Impromptus op. 142 aus Schuberts Spätzeit, in denen viele ihrer inneren Einheit wegen eine Sonate sehen. Dramatisch setzt Strauss ein, lässt in die melancholisch wogende Tonlinie des Allegro moderato lichte Tupfer fallen. Im As-Dur Allegretto hellt sich die Palette auf, das Spiel gewinnt an Wärme und Leben. Heiter liedhaft setzt im dritten Impromptu das Thema aus „Rosamunde“ ein, in flüssigen Skalen und Läufen folgen die Variationen bald graziös, bald nachdenklich oder vital. Eine Folge rasender Kaskaden und tänzerischer Schwung kennzeichnen das abschließende Capriccio mit seiner in wildem Feuerwerk endenden Coda.

Hatte man in diesen Werken bei aller pianistischen Brillanz noch eine innere Beteiligung vermisst, schien Strauss erst in den ausgewählten Stücken aus Franz Liszts „Années de pèlerinage“, aus den Wanderjahren in der Schweiz und Italien, ganz in seinem Element. Farbig malte er das idealistische Landschaftsbild „Au lac de Wallenstadt“. Gleichmäßig ließen die Finger der linken Hand das Wasser des Sees leise murmeln, während sich darüber die reizvollen Lieder des Hirten und des Fischers legten.

Der edle Gesang der Liebe

Mit gewaltiger Ausdruckskraft interpretierte Strauss zuletzt die dramatisch verstörende „Fantasia quasi Sonata après une lecture du Dante“, das umfangreichste Stück aus den italienischen „Années de pèlerinage“. Eindringlich stellte er der visionären Schilderung des Inferno, der wilden Höllenqualen der Verdammten die zarte Liebesepisode der Francesca da Rimini gegenüber. Im Widerstreit lagen höllische Schrecken und der edle Gesang der Liebe, hier die untergründig grollenden, dämonisch aufgewühlten, fiebrig drängenden Gedanken, dort helles Flirren und verklärte Ruhe, ehe mit letztem Aufbäumen, mit mächtigem Furor noch einmal die Hölle tobte und das Höllentor sich schloss. Mit zwei heiteren Zugaben entließ der Pianist seine Zuhörer in die Winternacht.

SÜDKURIER | 19.01.2016 | ANETTE BENGELSDORF

Romantisches Stimmungsbild mit Gewitter

Mit Haydn, Schubert und Liszt spielt sich Leopold Strauss in Oberteuringen in die Herzen des Publikums

„Es ist sehr emotional hier zu spielen, da ich Menschen treffe, die ich seit 20 Jahren nicht mehr gesehen habe“, sagte Leopold Strauss zu seinem Auftritt in der Mühle in Oberteuringen am vergangenen Samstag. Acht Jahre liegt sein letztes Konzert zurück, an dem Ort, an dem der in Friedrichshafen Geborene aufgewachsen ist. Acht Jahre, die er auch nutzte, um sein Repertoire zu erweitern. „Die Haydn-Sonate habe ich speziell für den heutigen Abend einstudiert“, erzählte er nach dem Konzert. Und das, obwohl ihm, dem Chopin-Spezialisten, die Wiener Klassik, nach eigenen Angaben, nicht so sehr am Herzen liegt. Doch Haydn findet er spannend, als einen der wenigen seiner Zeit. Zudem passt Haydn zu Schubert und Liszt und gibt damit Strauß' Konzertprogramm einen Rahmen. Denn alle drei wirkten in Wien. So begann der Abend – der Saal war restlos besetzt – mit dem ältesten der drei Komponisten.

Klassisch nüchtern in der Tongebung und stellenweise ein wenig romantisch frei im Umgang mit dem Tempo, spielt Strauss die Klaviersonate Nr. 31 in As-Dur, eine äußerst virtuose Konzertsonate, die zwischen 1765 und 1767 entstand. Haydn, der meinte, er schreibe entweder für Liebhaber oder für Kenner, kann hier nur letztere Gruppe gemeint haben. Liebhaber würden sich an der Technik vermutlich die Finger brechen. Strauss arbeitet Melodiebögen heraus und gestaltet dezente Crescendi, so gut dies auf dem etwas undifferenziert klingenden Schimmel-Flügel möglich ist. Dem zweiten Satz, einem Adagio, in einem weltentrückt wirkenden Des-Dur, verleiht er eine besinnliche Stimmung. Mit dem abschließenden Presto, das jetzt im Kontrast dazu als flotter höfischer Tanz daher kommt, reißt er mit perlenden Läufen und vollen Akkorden den Zuhörer aus der Melancholie.

Mit den 1827 von Franz Schubert komponierten Impromptus op.142 begibt sich der Pianist spürbar auf emotional vertrauteres Terrain. Punktierte Achtel und kraftvolle Akkorde sorgen für einen beinahe pathetischen Auftakt, Sechzehntelarpeggien untermalen in einem an die Durchführung eines klassischen Sonatenhauptsatzes erinnernden Teil den melodiösen Dialog zwischen Sopran und Bass. Dann schließt er mit der Wiederaufnahme des nachdenklicher gestalteten, ersten Themas. Ganz anders jetzt das Impromptu in As-Dur. Fast spröde stellt Strauss das bekannte, liedhafte Thema vor und stellt ihm harte Akkorde mit Oktaven in der linken Hand gegenüber. Dann träumt das verspielte Thema des B-Dur Impromptus so vor sich hin, wird in der Variation beschwingter, erinnert später in b-Moll mit scharfen Punktierungen an einen leidenschaftlichen ungarischer Tanz. Das letzte, in f-Moll, bewegt mit lebhaften Trillern, schwindelerregenden Zweiunddreißigstel-Läufen und exakten Punktierungen und rast mit einem Sechzehntellauf über die gesamte Klaviatur nach unten in einen unerwarteten und düsteren Schluss.

Mit seiner schwangeren Geliebten, Marie d'Agoult, reiste Franz Liszt durch die Schweiz. Dort hielten sie sich auch am Walensee auf. Die Gräfin schrieb über das „Au Lac de Wallenstadt“: „Franz schrieb dort für mich eine melancholische Harmonie, in der das Seufzen der Wellen und die Kadenz der Ruder imitiert werden, und ich habe sie nie ohne Weinen anhören können.

“ Den würdevollen Vortrag des ersten Themas mit gebrochenen Akkorden in der linken Hand unterbricht Leopold Strauss abrupt, steht vor dem staunenden Publikum auf und krempelt sich ganz ruhig die Ärmel seines knapp sitzenden Hemds hoch. Schnell versteht man warum. Während Leopold Strauss über den See rudert, scheint sich ein Sturm zusammenzubrauen, virtuos rauscht sein Spiel mit Läufen und donnernden Akkorden über die Klaviatur. Als sich der See beruhigt, löst sich Strauss' Blick zum ersten Mal von den Tasten, schweift kurz in die Ferne, seine Finger zaubern mit silberhellen Tönen glitzernde Wellen in den Saal, um bald darauf wieder in aufgewühltem Wasser zu versinken. Akkorde toben nach oben, steigern sich zu einem endlosen Forte mit beinahe akrobatisch überkreuzten Armen. Bravo-Rufe quittieren den hochemotionalen Schluss.

Schon früh führte Leopold Strauss sein Studium nach Polen, der Heimat Chopins, wo er ihm sehr nahe kam. 1999, zum 150. Todestag des Komponisten, stand Leopold Strauss auf der UNESCO-Liste der Komponisten, die ihm zu Ehren weltweite Konzerte gaben. Und so überraschte es nicht, dass er als Zugabe zwei seiner Mazurken spielte.